28. Mai 2025
Ein umgekippter Linienbus war nur eine der Herausforderungen für die Rettungskräfte. © Markus Klümper
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Rettungskräfte trainieren belastende Einsatzlage

Die Kollision zwischen einem PKW und einem Linienbus fordert zahlreiche Schwerstverletzte. Unter dem umgekippten Bus liegt ein Radfahrer, und obendrein müssen sich die Rettungskräfte auf eine besondere Bedrohung einstellen: Viele der Betroffenen wurden nämlich nicht primär durch das Unfallgeschehen verletzt, sondern durch Messerangriffe. Die aktuelle Lage im Weltgeschehen zeigt: Rettungsorganisationen und beteiligte Behörden handeln verantwortlich, wenn sie sich auf solche Situationen einstellen.

Kreisbrandmeister Michael Kling und der Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes Heinz Ostermann erklären, was auf die Rettungskräfte zukommt. © Markus Klümper

MEINERZHAGEN / MÄRKISCHER KREIS (mk) Am Ende war Kreisbrandmeister Michael Kling sichtlich zufrieden und erleichtert: Rund 200 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Rettungsdienst und weiteren Hilfsorganisationen haben am Samstagnachmittag, 24. Mai, eine Großübung absolviert, die nicht nur durch ihren Umfang bemerkenswert war. Es kam auch eine Besonderheit dazu, die sogar einen elementaren Aspekt der Trainingsmaßnahme ausmachte: Bei dem erdachten Szenario handelte sich nicht nur um einen besonders schlimmen Verkehrsunfall, sondern obendrein um eine Bedrohungslage. Eine Situation, den allen Beteiligten auch seelisch viel abverlangte, obwohl es sich nicht um einen Ernstfall handelte.

Zahllose Patienten, diesmal glücklicherweise nur Darsteller, mussten versorgt und weggefahren werden.

Kling macht in seiner Ansprache, in der er auch den “Startschuss” zur Übung gab, keinen Hehl daraus, dass die imaginäre Bedrohungslage einen wesentlichen Baustein des Szenarios ausmachte. Einer, der sich belastend auf die Helferinnen und Helfer auswirkt, aber eben auch logistische Fragen aufwirft. Und die keineswegs selten ist, auch nicht weit weg. Das haben die jüngsten Attentate in Siegen und Solingen gezeigt. Erst vor wenigen Tagen hat ein solcher Messerangriff in Hamburg 18 teils lebensgefährlich Verletzten gefordert. “Aufgrund der besonderen Einsatzlage noch einen Teil 2”: Mit diesen Worten leitete der Kreisbrandmeister zu einem fiktiven IS-Bekennerschreiben über, in dem sehr brutale Terroranschläge angekündigt werden. Bei dem Wortlaut verstummten die angetretenen Retter endgültig. In den Gesichtern deutlich zu sehen: Die Sorge, tatsächlich mal mit einer solchen Lage konfrontiert zu werden. Vor allem: So etwas womöglich in der eigenen Nachbarschaft zu erleben.

30 Notfall-Darsteller bereiteten sich indes im Industriegebiet auf das Eintreffen der zumeist ehrenamtlichen Hilfskräfte vor. Zwei der Darsteller Eingeklemmt in einem Kleinwagen, der in der für diesen Tag voll gesperrten Straße “Auf der Koppel” stand. Etliche weitere warteten im umgekippten Linienbus auf ihre Rettung. Auch der mit einer stattlichen Laufleistung von 800.000 Kilometern ausrangierte Bus wurde am Ende seines Lebens nochmal richtig wertvoll, denn hier konnten die Retter ihre Arbeit ohne Rücksicht auf das Fahrzeug üben. Was den zahlreichen Beobachtern, darunter Meinerzhagens Bürgermeister Jan Nesselrath, auffiel: Die ersteintreffenden Kräfte hielten sich zunächst zurück und blieben auf Abstand. Das war wichtiger Teil der Einsatztaktik, denn es gilt: Rettungskräfte sollen sich bei ihrer Arbeit nicht unnötig in Gefahr bringen. Schon garnicht durch Täter, die noch nicht festgesetzt wurden.

Ziemlich alltäglich: Personen müssen aus einem havarierten PKW gerettet werden.

Noch mehr als bei anderen Übungen behielten die Organisatoren und Einsatzleiter auch im Blick, wie realistisch die Rettungskräfte die Situation auch mental empfinden. “Bereits nach kurzer Zeit tauchen die Beteiligten so tief in die Lage ein, dass sie kaum noch wahrnehmen, dass es sich um eine Übung handelt”, heißt es aus dem Leitungsstab. Das ist besonders bei diesem sensiblen und gefährlichen Thema erwünscht und wichtig, doch übertreiben darf man es nicht: “Wir müssen den Kipppunkt im Auge behalten”, erläutert Kreisbrandmeister Kling. Die psychosoziale Belastung sieht Kling als fast genauso hoch an wie bei echten Einsätzen: “Darum ist es auch gut, dass alle Beteiligten im Anschluss noch zum Essen und Trinken in der Gemeinschaft zusammensitzen und sich austauschen.” Keiner würde den “Hammer fallen lassen” und sofort heimfahren. Das lobt Kling in mehrfacher Hinsicht und betont, dass ja hier zu 90% Ehrenamtliche beteiligt sind. Darüber hinaus war ohnehin die Einheit Psychosoziale Notfallversorgung für Einsatzkräfte (PSNV‑E) beteiligt und hätte auch real helfen können.

Die Rettung aus dem Linienbus war nicht nur anspruchsvoll, sondern stellt auch eine eher seltene Lage dar.

Der handwerkliche Teil der Übung klappte sowieso wie am Schnürchen: Die Insassen des kleinen VW werden in patientenschonender Vorgehensweise aus dem völlig demolierten Kleinwagen gerettet, dabei setzen die Hilfskräfte auch schweres Gerät ein. Tatsächlich handelt es sich dabei um einen Einsatz, der sich in dieser Form fast täglich irgendwo im Kreisgebiet ereignet. Doch besonders der Start ist vom Eigenschutz geprägt. Bevor sich die Einsatzkräfte der Unfallstelle beziehungsweise dem Tatort nähern, sind Frage zu klären: “Wann können wir loslegen, müssen wir selbst damit rechnen, angegriffen zu werden?” In diesem Szenario wurde von einem Einzeltäter ausgegangen, der andere Menschen mit einem Messer gefährlich verletzte. Eine Situation, die leider auch keineswegs realitätsfern ist. Hinsichtlich der fiktiven IS-Drohung kommt noch dazu: Niemand kann sicher sagen, dass nicht noch weitere Täter zuschlagen wollen und dabei möglicherweise über Waffen mit einer deutlich höheren Wirkung und Reichweite verfügen.

Das war diesmal aber kein Thema: Der Täter wurde von weiteren Beteiligten überwältigt und festgesetzt. So konnten die Hilfskräfte nach einiger Zeit mit der Rettung der Verletzten beginnen. Auch dies angesichts der schieren Zahl eine logistische Herausforderung, zumal bei den angenommenen Verletzungsgraden: Zwar gibt es immer mal wieder “ManV”-Lagen (Massenanfall von Verletzten), doch fast immer in diesen Dimensionen ist ein Großteil der Betroffenen eher leichtverletzt oder wird vorsorglich untersucht. Eine solche Anzahl von schwer- oder gar lebensgefährlich Verletzten zu versorgen, ist hingegen eine andere Sache: Eine personalintensive Meisterleistung, die auch viel Koordination verlangt.

Die Zahl der beteiligten Ehrenamtlichen war enorm

Auch diese war ein wesentlicher Baustein der Übung: “Im Rahmen der Übung war auch die Einsatzleitung im Brandschutz- und Rettungsdienstzentrum (BRZ) Altena-Rosmart als Hintergrundstab tätig. Ziel war es, die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen einer punktuellen Einsatzlage vor Ort und einem rückwärtig eingesetzten Führungsstab zu erproben und weiter zu verbessern”, erläutert der Märkische Kreis schriftlich die Vorgehensweise. Kreisbrandmeister Kling, sein Stellvertreter Jörg Döring und der Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes Heinz Ostermann waren selbst vor Ort. Und etliche erfahrene Einsatzleiter der jeweiligen Hilfsorganisationen, die alle ihre Position in der Struktur hatten. Rund zwei Stunden dauerte der Einsatz, an dessen Ende spürbar von allen eine gewisse Anspannung abfiel. Spürbar waren auch die Motivation und das Herzblut, mit der alle Beteiligten dabei waren. Die Lage stellte sich erschreckend realistisch dar, und der Aufwand im Vorfeld nachvollziehbar enorm: “So eine Übung können wir höchstens alle zwei Jahre durchführen”, so Michael Kling. Der viele Eindrücke und Notizen mitnimmt. Schließlich geht es nicht nur um das Training für die Beteiligten, sondern auch um das Optimieren oder gar das Erkennen von Schwachstellen. “Immer vor der Lage sein” lautet ein wichtiges Motto unter Hilfsorganisationen. Deutlicher als bei dieser Übung kann man dazu wohl nicht alle Register ziehen.

Für die Menschen in Meinerzhagen hätte der Anblick des schier endlosen Konvois allein an Rettungswagen beängstigend gewirkt, darum wurden sie im Vorfeld “vorgewarnt”. Die Menge der Kräfte Einsatzfahrzeuge, die sich vor dem Übungsstart am Schützenplatz sammelten, war eindrucksvoll. Unmittelbar nach der Übung, gegen 15.35 Uhr, kam es im benachbarten Marienheide allerdings zu einem echten Großeinsatz: Mit vielen Tauchern und sogar drei Hubschraubern wurde in der Brucher-Talsperre nach einem vermissten Schwimmer gesucht.

Beteiligt waren neben dem Leitungsstab des Märkischen Kreises:

- Die Meinerzhagener Feuerwehr, bereits zum zweiten Mal in Folge “Gastgeber” einer Großübung
- Die Feuerwehr Kierspe, die mit einem Fahrzeug samt Besatzung den Grundschutz in Meinerzhagen sicherte und mit ihrem Leitwagen die Koordination auf dem Bereitstellungsplatz unterstützte
- Die Feuerwehr Plettenberg mit dem dort stationierten großen Einsatzleitwagen ELW2
- Eine Einsatzeinheit MK2 des Deutschen Roten Kreuzes
- Der Malteser Hilfsdienst, vor allem um die Versorgung der Beteiligten mit Essen & Trinken
- Etliche Kräfte des Regelrettungdienstes
- Der leitende Notarzt des Kreises (LNA) sowie drei weitere Notärzte
- Das Ordnungsamt Meinerzhagen
- Die Feuerwehr Nachrodt-Wiblingwerde mit der Drohneneinheit des Märkischen Kreises
- Die Einheit für Psychosoziale Notfallversorgung für Einsatzkräfte (PSNV‑E)

Hier geht es zur umfangreichen Fotogalerie von der Großübung:


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